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Der Holzweg: Wald im Widerstreit der Interessen

Titel: Der Holzweg
Untertitel: Wald im Widerstreit der Interessen
Autor: H.- D.Knapp, S. Klaus, L. Fähser
Verlag: oekom verlag
Sprache: deutsch
ISBN-10: 3962382666
ISBN-13: 978-3962382667
Format/Größe: 16.3 x 3 x 23.3 cm
Seiten: 480
Erschienen/Auflage: 14. Januar 2021
Preis: 39,00

Ein ganzes Kilo Buch ist das: aufwändig produziert, mit 500 farbigen Abbildungen, klimaneutral auf Hochglanz gedruckt, vom renommierten Oekom-Verlag verlegt (aber nicht von ihm lektoriert) und finanziell unterstützt von der Michael Succow Stiftung.

Der Buchtitel sagt schon viel über seinen Inhalt. Die übergeordnete These der Herausgeber: Der deutsche Wald brauche weniger wirtschaftliche Nutzung und mehr Naturschutz, die Forstpraxis von heute sei auf dem „Holzweg“. Und das wollen die Autoren mit ihren 36 Aufsätzen belegen: Forstwissenschaftler, Botaniker, Biologen, Geographen, Ökologen, Förster, aber auch Juristen, Journalisten und Pädagogen.

Das Ergebnis ist eine bemerkenswerte Mischung aus wissenschaftlich akribischen, aber für Laien teils schwer verständlichen Beiträgen einerseits und engagiert vorgetragenen Klageschriften besorgter Naturschützer und Bürger gegen die deutsche „Forst- und Holzlobby“ andererseits. Konkret reicht das Spektrum von biologisch-chemischen Zustandsberichten unserer Waldökosysteme über juristische Essays zur Ökologiepflichtigkeit von Waldeigentum bis hin zum recht persönlichen Aufsatz eines Umwelt- und Urwaldforschers zum „sinnvollen Tun und Unterlassen im Wald“.

Die Zielgruppe bleibt daher unklar. Wer soll dieses Buch lesen, wenn nicht Forscher, die die fachlichen Inhalte eh schon kennen müssten? Privatwaldbesitzer oder Mitglieder von Forstverwaltungen? Die könnte der stellenweise sehr vorwurfsvolle Tenor abschrecken. Naturschützer oder interessierte Laien? Die könnte der Umfang des Buches und seine oft komplizierten Inhalte überfordern. Die vielen ähnlichen, nur bedingt aussagekräftigen Wald- und Baumfotos bringen hier kaum Auflockerung. Ein strafferes Lektorat hätte sicher viele Wiederholungen vermeiden können. Warum können solche Inhalte nicht knapper, plakativer und verständlicher aufbereitet werden, zumal sie insgesamt ja diskutierenswert sind?

Interessant zum Beispiel, wenn erörtert wird, wie nach Ansicht der Autoren die Holzwirtschaft mit in der Regel schwerer Maschinentechnik die Waldböden unter Druck setzt; warum heimische Baumarten den Klimawandel besser bewältigen können als fremde; oder warum Holzverbrennung doch nicht so klimaneutral ist, wie oft postuliert. Schockierend auch zu lesen, wie profitorientierte internationale Holzkonzerne die letzten mitteleuropäischen Urwälder der Karpaten zerstören. Gerade die seien wichtige Genpools, unschätzbare Lernorte für die Forschung und letzte Horte spezieller Arten, heißt es.

Spannend auch das Modell der naturnahen Dauerwaldnutzung im Lübecker Stadtwald – ein von Umweltschutzverbänden zertifiziertes Projekt. Dort funktioniert offenbar seit 30 Jahren gut, dass man dem Wald mehr Ruhe und Zeit lässt zu wachsen und von außen nur minimal eingreift. So könne man letztlich trotzdem mehr Holz ernten und verkaufen als in konventionell bewirtschafteten Vergleichswäldern, sagen die Autoren. Also: Ökologie sichert Ökonomie? Und in Zeiten schneller Erderwärmung drängt sich nun mal die Frage auf, was besser ist fürs Klima: junger, bewirtschafteter oder alter, nutzungsfreier Wald? Hier werden viele Belege dafür gebracht, dass der Klimanutzen höher ist, wenn Bäume länger leben.

Wenn das das Rezept ist, warum machen es dann nicht alle so? Sicher auch, weil die bisherige Datenlage zu dünn und deshalb die richtige Strategie unter Wissenschaftlern umstritten ist. Einen großen Haken sehen die Autoren von „Der Holzweg“ jedenfalls in der verfehlten Forstpolitik der vergangenen 200 Jahre und in der „systemischen Krise der Fortwirtschaft“. Den seit zwei Jahrzehnten privatwirtschaftlich organisierten Verwaltungen, die in alten Paradigmen gefangen seien, gehe es vorrangig ums „Geldverdienen mit Holz“, heißt es hier. Die profitorientierte Säge- und Holzindustrie beute den Forst nur aus, mit Nachhaltigkeit hätten beide Gruppen nichts am Hut. Dem Volk erzählten sie lediglich nach wie vor ihre „Mythen und Märchen“, die dann auch ausführlich analysiert und widerlegt werden.

Da bricht sie auf, die sich offenbar weiter verhärtende Front zwischen Ökologen und Umweltschützern auf der einen, und Förstern, Wissenschaftlern und Waldbesitzern auf der anderen Seite. Im jeweils eigenen Schützengraben würden hier gerne gemeinsame Feindbilder kultiviert, gibt ein Autor denn auch zu. Die einen fühlten sich nicht gehört, die anderen verunglimpft. Aber müssten nicht beide Seiten mehr Gemeinsames haben als Trennendes? Nämlich die Sorge um die Zukunft des Waldes?

Klar ist: Der Umgang mit dem Wald bewegt die Zivilgesellschaft, und das – so scheint es - immer emotionaler. Das zeigt auch der Erfolg des bei vielen Fachleuten umstrittenen Buchautors und Waldakademie-Betreibers Peter Wohlleben. Die Interessen und Nutzungsansprüche an den Wald sind vielfältig, die Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit, vor allem in Pandemiezeiten, nimmt zu. Vielleicht ist diese Sehnsucht ja auch mal romantisch verklärt, aber auch damit müssten wir dann irgendwie umgehen.

Früh bei der Lektüre des Buches wird jedenfalls klar, dass der Mensch sich am besten mal für ein halbes Jahrhundert aus dem Wald zurückziehen sollte. Aber ist das nicht utopisch im dicht besiedelten Deutschland? Schließlich wollen wir nicht nur bei, sondern mit dem Wald leben, wollen uns in ihm erholen, und natürlich auch sein Holz nutzen: für Haus und Dach, Fußboden und Möbel und für den heimischen Kamin. Machen wir uns dabei immer Gedanken, wo es herkommt und wie es erzeugt wird?

Da tun sich viele Fragen auf, die das Buch nicht beantwortet: Wären wir bereit, für naturnahere Holzerzeugung einen höheren Preis zu bezahlen? Wie soll man die vielen derzeit kranken Bäume zwischen Donau und Ostsee allein mit Pferden aus dem Wald holen? Und wollen wir die steigende Nachfrage nach immer knapper werdendem Wertholz lieber mit Importen aus Raubbaugebieten stillen? Wie nehmen wir nicht nur die Staatsforste, sondern auch Privatwaldbesitzer ins Naturschutz-Boot? Denn ihnen gehört die Hälfte des deutschen Waldes, aber eher die kleinen, zersplitterten Flächen, die schwer in große Schutzräume zu integrieren sind. Wären hier sogenannte Trittsteinkonzepte nicht angemessener als die geforderten großflächigen Lösungen?

Vielleicht sind wir mit einer zukunftsfähigen Lösung gerade alle überfordert. Umso wichtiger, wenn sich hier die „Player“ zusammentäten: Förster, Waldbesitzer, Waldnutzer und Naturschützer. Vielleicht wäre die Ausweisung von deutlich mehr geschütztem Naturwald ein erster wichtiger Schritt. Um dann konsequent und langfristig weiter die Klimabilanzen verschiedener Wälder zu erforschen.

Extrempositionen, fortgesetzte Grundsatzstreitigkeiten und gegenseitige Verbalattacken führen jedenfalls nicht weiter. Viele Förster verstehen sich nämlich auch als Umweltschützer und die meisten Naturschützer sind vermutlich keine Radikalen. Jetzt ist es wichtig, sich gegenseitig zuzuhören und schnell pragmatische Lösungen zu finden für diese große Gemeinschaftsaufgabe.

Der Wald, meint Professor Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde in seinem Beitrag, tauge jedenfalls nicht zum Allheilmittel gegen den Klimawandel. Holz dürfe kein Ersatz für Kohle werden und der Wald diene außerdem auch dem Wasser- und Artenschutz. Klar sein, dass man stattdessen die Treibhausgas-Emissionen drastisch herunterfahren müsse. Eine leider brutale Wahrheit. Denn dass der Wald so krank ist, hat nach derzeitigen Erkenntnissen etwas mit unserem Lebensstil zu tun, der die Erderwärmung wesentlich vorantreibt.

Rezension von Sonja Wagenbrenner, Mitglied im Verein für Nachhaltigkeit e. V. (April 2021)