Vom Wert der Wälder: 10 Thesen zur Nachhaltigkeit in Wäldern
Der Wald kann ohne den Menschen, aber der Mensch nicht ohne den Wald leben. Gesellschaften in den bewaldeten Regionen der Erde haben Waldökosysteme schon immer beeinflusst, von sporadischen Eingriffen über großflächige Bewirtschaftung bis hin zur Waldvernichtung. Dies hat die Wälder der Gegenwart in vielfältiger Weise geprägt. Andererseits haben die Wälder auch ihre Bewohner beeinflusst. Aus Fehlern in diesem Verhältnis haben viele Kulturen gelernt, für manche kam die Einsicht aber auch zu spät. Bis heute bieten menschliche Aktivitäten in Wäldern Beispiele sowohl für praktizierte Nachhaltigkeit und die Verwirklichung von globaler und generationenübergreifender Gerechtigkeit, als auch für Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit.
In letzter Zeit werden die Debatten um den Wald und seine Bewirtschaftung intensiv geführt. Ein Grund dafür ist die Klimakrise, die Wälder massiv betrifft. Die folgenden 10 Thesen des Vereins für Nachhaltigkeit e.V. sind ein Beitrag zu dieser Debatte und werden zum Start der „UN-Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen“ veröffentlicht.
10 Thesen
Die Waldbewirtschaftung in Deutschland blickt bis zur Entwicklung erster Nachhaltigkeitskonzepte in der Neuzeit auf jahrhundertelange Erfahrungen mit Verstößen gegen das Nachhaltigkeitsprinzip zurück. Der moderne Nachhaltigkeitsbegriff geht, im Gegensatz zu seinen Ursprüngen, über die Fixierung auf den Holzertrag hinaus und räumt ökologischen, sozialen und kulturellen Aspekten die gleiche Bedeutung ein. Nachhaltigkeit in Wäldern bedeutet, dass die Summe der ökosystemaren Dienstleistungen auf Dauer gewährleistet und auch für künftige Generationen gesichert wird. Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung bewahrt die Integrität des Waldökosystems.
Wälder beeinflussen das Klima maßgeblich und tragen als CO2-Senke zur Vermeidung des anthropogen bedingten Klimawandels bei. Eine fortschreitende Zerstörung von Wäldern weltweit würde das Erreichen von Kipppunkten in Klimaprozessen wahrscheinlicher machen. Waldverluste sind häufig dem Anbau von Produkten zuzuschreiben, die vom „Globalen Norden“ konsumiert werden. Der Klimawandel verstärkt bestehende Ungerechtigkeiten, denn kurzfristige Vorteile für die heutige Generation führen zu Nachteilen für künftige Generationen. Großflächige Rodungen von Wäldern wirken sich schädlich auf das Klima aus und sind zudem ungerecht, weil sie Menschenrechte indigener Völker verletzen, die von den Rodungen betroffen sind.
Die vorhandene Bewaldung ist kein Ergebnis zielgerichteten Handelns, sondern wird von den Flächeninteressen anderer Landnutzungsformen dominiert. Aus diesem Grund ist national und international eine eigenständige, an den Waldfunktionen orientierte Waldflächenpolitik notwendig. Waldverluste sind häufig eine Folge der Umwandlung von Wäldern in andere Landnutzungsformen. Deren Motor sind unter anderem das Konsum- und Spekulationsverhalten und die wirtschaftlichen Interessenslagen der reichen Länder. Deshalb ist eine Transformation der derzeitigen globalen Wirtschaftsstruktur notwendig. Dazu können unterschiedliche Steuerungselemente und Bildung für nachhaltige Entwicklung dienen. Dies umzusetzen, ist eine vordringliche politische Aufgabe.
Intakte, naturnah bewirtschaftete Wälder erbringen für den Menschen neben dem nachwachsenden Rohstoff Holz weitere Leistungen wie Kohlenstoffspeicherung, die Sicherung einer hohen Wasserspende und -qualität und auch Hochwasser- und Erosionsschutz. Letztere werden auch durch ungenutzte Wälder sichergestellt. Der Klimawandel gefährdet die bisher durch Wälder zur Verfügung gestellten Ökosystemleistungen. Weltweit sollen die Wiederbewaldung ehemals gerodeter Waldflächen und Agroforst-Konzepte auf bisher rein landwirtschaftlich genutzten Flächen daher gefördert werden.
Die Bewahrung der Vitalität des Waldbodens ist die Basis für die Walderhaltung und die Sicherung der Waldfunktionen. Insbesondere die Aufrechterhaltung eines humosen Oberbodens durch Vermeidung von Kahlschlägen, durch boden- und bestandsschonende Holzernte und Belassen von Totholz im Wald gewährleistet die Nachhaltigkeit der Nährstoffversorgung, eine hohe Kohlenstoffspeicherung und eine hohe Wasserspeicherfähigkeit. Eine anspruchsvolle forstliche Nutzung integriert Renaturierungen (z.B. Moore) und zeichnet sich dadurch aus, dass in aller Regel die Baumartenwahl den Gegebenheiten des Standorts folgt und nicht, wie in der Landwirtschaft üblich, der Bodenzustand gemäß der anzubauenden Frucht verändert wird.
Die nachhaltige Sicherung der heimischen Waldartengemeinschaften (Biozönosen), mit all ihren Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, bedarf eines Bündels an Maßnahmen. Mit Mosaikstrukturen, Trittsteinkonzepten, bestehend aus kleinen Stilllegungsflächen, flächigem Biotopholz und deren Integration in Waldbaukonzepte gelingt es, typische Waldarten auf großer Waldfläche zu erhalten bzw. wieder anzusiedeln.
Holznutzung und der Schutz von Habitatstrukturen, Lebensgemeinschaften und Arten schließen sich nicht aus, sondern können durch integrative Konzepte verbunden werden.
Die Regeneration der Wälder hängt wesentlich von der Wilddichte ab. Die Hege von Reh-, Rot- und anderen Schalenwildarten darf in Wäldern nicht im Vordergrund stehen. Auch das Fehlen der großen Beutegreifer und die fragmentierte Landschaft führen zu deutlichen Veränderungen des Waldökosystems und zu ökologischen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen künftiger Wälder. Eine Regulierung der Schalenwilddichte durch tierschutzgerechte Jagd ermöglicht nachhaltig stabile, gemischte, arten- und ertragreiche Waldformen. So wird für alle Wildarten die Lebensraumqualität erhöht.
Wälder fördern die Gesundheit des Menschen. Wälder ermöglichen eine alle Sinne ansprechende Erholung und tragen zur allgemeinen Lebensfreude bei. Ein plantagenartiger Waldaufbau verringert den Erholungswert. Im Gegensatz dazu lässt sich eine naturnahe und schonende Waldnutzung bei gegenseitigem Verständnis und Rücksichtnahme sehr gut mit der Erholungsfunktion vereinbaren.
Wälder haben ein großes Regenerations- und Anpassungsvermögen. Gleichwohl stellen unnatürlich hohe Stoffeinträge (z. B. Stickstoff) und der laufende Klimawandel mit Dürreperioden eine Bedrohung der gesellschaftlichen Leistungen wie auch des Eigenwerts der Wälder dar. Deshalb ist gerade jetzt eine hohe genetische Diversität innerhalb der Populationen der Baumarten eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel und damit das dauerhafte Überleben von Waldökosystemen. Dieses Potential kann insbesondere durch ein fachgerechtes Management effizient ausgeschöpft werden. Waldbewirtschaftung trägt auch durch Schaffung von „Mosaikstrukturen“ zur Erhaltung und Förderung genetischer Diversität bei. Gleichzeitig ist eine drastische Reduktion der Stickstoffeinträge aus Landwirtschaft und Verkehr dringend erforderlich. Der Klimawandel zwingt jetzt zu besonderen Anstrengungen für die Wälder.
Wälder sind hochkomplexe Ökosysteme, deren Zusammensetzung und Funktionalität bislang nur teilweise bekannt sind, zumal sie ständigen Änderungen unterworfen sind. Es bedarf daher einer wissenschaftlich fundierten, interdisziplinär orientierten Aus- und Fortbildung. Der Wald ist ein anschaulicher Lernort für Langfristigkeit und für Systemzusammenhänge. Nachhaltigkeit lässt sich hier gut studieren und vermitteln, weil sich Handeln oder Nichthandeln sichtbar in Wäldern und in Rückkopplung auch auf gesellschaftliche Systeme auswirkt. Internationale Aktionstage (zu Themen wie Baum, Wald, Umwelt, Biodiversität, etc.) sollten genutzt werden, um in Kooperation unterschiedlicher Akteure auf die Wälder aufmerksam zu machen und so die Bildung für nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.
Nachhaltig angelegte, interdisziplinäre Forschung stellt die Grundlagen hierfür bereit. Nur so können wir die Wälder besser verstehen, entsprechend der Bedürfnisse heutiger und kommender Generationen nutzen und dauerhaft erhalten.
Autorenschaft: Ammer, Christian; Haber, Wolfgang; Hamberger, Joachim; Mergner, Ulrich; Müller-Starck, Gerhard; Pausch, Reinhard; Schulan, Alexander; Schwab, Thomas; Wagenbrenner, Sonja; Zelenka, Martin
Verantwortlich: Verein für Nachhaltigkeit e.V.; Stand: 07.06.2021
Kommentare
-
18.07.2021 - Enno Rosenthal
Alles richtig und graue Theorie. Auf die Praxis kommt es an. 🌳🌲🌳
-
12.12.2021 - Reinhard Pausch
Aber ja, dass Gedanken zu guten Handlungen werden, soll uns Motivation sein. Und das ist es auch. Auf die Praxis kommt es am Ende an, unbedingt. Hier gibt es erstaunlich viele gelungene Beispiele, Erfahrungswissen und Verantwortungsbewusstsein, engagierte Waldbesitzer und Forstleute, die sich selbst unter schwierigen Rahmenbedingungen vor Ort einsetzen. Es gibt aber auch weniger Gutes. Weltweit dominiert in der Praxis des Umgangs mit Wäldern eine Ausbeutung übelster Art. Hinter all dem stecken selbstverständlich ganz verschiedene Theorien der Akteure, warum sie dieses oder jenes tun. Das sehr breite Feld unterschiedlichster Praxis zeigt selbst, auf welche Weise die Art der handlungsleitenden Theorie praktisch wirksam wird. Die Qualität der Theorie macht einen Unterschied. Das gilt nicht zuletzt im Umgang mit Naturkatastrophen und der zu erwartenden dramatischen Klimaveränderung. Also kommt es darauf an, Gedankenwelten - auch eigene - auf den Prüfstand zu stellen – überraschend, welche Herausforderung das in heutigen Zeiten wieder darzustellen scheint. Das Spektrum an kaum überprüften, sogar falschen Vorstellungen, die gerade über Wald in ganz verschiedener Richtung kursieren, ist erstaunlich. Diese Bereitschaft zur qualifizierten Überprüfung ist ein wichtiges Kriterium für gute Theorien. Und es ist auch ein Kriterium für gute Praxis. In der Hoffnung, ideologisches Denken einerseits und Betriebsblindheit andererseits zu vermeiden. Ja es ist eine ganz zentrale Frage, wie gute Praxis im Wald und für den Wald gefördert und verwirklicht werden kann. Alle, die sich hierfür vor Ort einsetzen, haben in den anstehenden schwierigen Zeiten besondere Unterstützung verdient!