Was Nachhaltigkeit für mich bedeutet
Meine Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist ein oft strapazierter, dehn- und interpretierbarer Begriff. Neben den offiziellen Definitionen trägt der Begriff für jeden von uns eine ganz individuelle Bedeutung. Unter der Überschrift "Was Nachhaltigkeit für mich bedeutet", ist jeder aufgefordert, seine ganz persönliche Sichtweise kundzutun, ganz ohne allgemeingültigen oder wissenschaftlichen Anspruch, sondern rein emotional.
Nachhalt-ICH – eine ganz persönliche Sichtweise
Sich zu verändern ist nicht einfach. Es ist sehr viel bequemer, alles so zu belassen wie es ist und sich damit zu arrangieren. Für mich bedeutet das aber Stillstand und letztlich Rückschritt.
Ich beobachte unsere soziales, ökologisches und ökonomisches Umfeld, und sehe klar, dass einiges verkehrt läuft. Also versuche ich mein eigenes Denken und Handeln in andere Richtungen und Kategorien zu verändern, um weiteren Schäden in meinem Einflussbereich entgegenzuwirken. Das ist für mich nachhaltiges Denken.
Die eigene Lebensweise an dem auszurichten, was man denkt, ist wahre Veränderung, Entwicklung, Reifung. Und die eigene Denkweise zu verändern fordert das eigene Weltbild immer wieder zu überprüfen und das, was man um sich herum wahrnimmt mit den eigenen Werten zu vergleichen. Dies ist nicht einfach sondern unbequem und fordert sehr viel Selbstreflexion und Energie. Oft aber hocken wir in unserem selbst gestrickten Unglück und klammern uns sogar daran, obwohl wir uns nach etwas anderem sehnen. Das Unglück ist halt etwas, was wir kennen. Das Unglück ist bequem.
Also brauchen wir einen äußeren Anstoß, damit wir unser Denken, unsere Lebensweise verändern können. Das kann etwas Kraftvolles oder etwas Besonderes sein, das uns geschieht, . Sei es positiver oder auch negativer Natur. Solch ein Augenblick ist eine Gnade, eine kostbare Einsicht, die wir erkennen und ergreifen können. So ein Augenblick kann uns dann ganz unerwartet überwältigen und in eine neue Richtung drehen. Das gibt uns die Möglichkeit zur Veränderung unseres Denkens und unseres Weltbildes.
Gerd Rothe, 2014
Die Suche nach einer (nachhaltigen) Bleibe
Wir sind zu dritt in unserer Wohnung: Ein Kleinkind und zwei Erwachsene. Dafür wäre eine Dreizimmerwohnung wie die unsere eigentlich perfekt, wären mein Mann und ich nicht beide selbstständig. Rechnet man unseren Raumbedarf mit Büros zusammen, kommen wir auf fünf – wenigstens jedoch vier Zimmer: So begeben wir uns auf die Suche nach etwas Größerem. Und natürlich stellen wir uns auch die Frage, was denn nun eine nachhaltige neue Bleibe für uns wäre. Zum Beginn unserer Suche und Recherche vor knapp neun Monaten schwärme ich noch von Energie-Plus Häusern, natürlich in Holzbauweise mit ökologisch wertvoller Dämmung, Solarthermie und Photovoltaikanlage auf dem Dach, Holzpellets als Energieträger.
Einen Kassensturz und mehrere Recherchen nach Haus- und Grundstückspreisen später wird schnell klar, der Wille wäre da, jedoch nicht das nötige Kleingeld. Unser Dilemma ist dabei unsere Bindung an den Großraum München. Unser Wunschhaus ließe sich durchaus realisieren, dazu müssten wir jedoch bereit sein, unsere sieben Sachen zu packen und in deutlich billigere Regionen zu ziehen, dorthin, wo gerade starke Abwanderung – beispielsweise in den Großraum München – stattfindet. Beruflich wären wir durchaus flexibel, doch unsere Eltern leben hier. Wir wollen, dass wir und unsere Kinder mit den Großeltern ein gutes, gelebtes persönliches Verhältnis haben und das nicht nur zwei Wochen in den Sommerferien oder per Internet und Telefon. Außerdem werden unsere Eltern nicht jünger. Wir wollen vor Ort sein, wenn Not am Mann ist, wie aktuell nach dem Herzinfarkt meines Vaters. Das bedeutet Adé du Niedrigenergiehaus.
Anfangs suchen wir nach Schlüsselfertigen Häusern. KFW 70 Haus heißt unsere neues Zauberwort. Es gibt Angebote auf dem Markt, doch langsam aber sicher dürfen wir feststellen, alles was wir uns leisten können liegt direkt an stark befahrenen Bundesstraßen, direkt an Bahnstrecken oder ganz weit draußen.
Fünf Monate nach Beginn unserer Suche uns etliche Exposés und Besichtigungen später sind zwei Sachen klar: Wir suchen nach einem gebrauchten Reihenmittelhaus oder einer kleinen Doppelhaushälfte Baujahr 1960 bis 1980.
Sieben Monate nach Beginn unserer Suche sind wir langsam am (Ver-)Zweifeln. Wir haben Suchaufträge nach Grundstücken, Häusern und inzwischen auch Wohnungen laufen. Vielleicht wäre eine Vier- oder Fünfzimmerwohnung die Lösung.
Acht Monate nach Beginn unserer Suche haben sich fast alle unsere Ideen von einem nachhaltigen, energetisch und ökologisch wertvollen Wohnobjekt in Nichts aufgelöst. Uns ist klar geworden, dass wir bei den aktuellen Hauspreisen und unserem Budget höchstens die Fenster austauschen können werden.
Die Geschichte hat neun Monate nach Beginn des Projektes Eigenheim doch noch ein Nachhaltigkeits Happy End – jedoch nur durch viel Glück. Wir besichtigen ein Reihenmittelhaus, dessen Vorbesitzer das Dach isoliert und die Fenster ausgetauscht hat. Auf dem Dach sorgt eine Solarthermieanlage für Warmwasser und die Heizung läuft zentral über Holz. Für die kommenden Jahre ist ein Anschluss an die Geothermie geplant. Wir laufen einmal durch das Haus und sagen sofort zu. Wir sind die ersten von siebzig Bewerbern um das Haus – und wir nehmen das Haus ehrlichgesagt jedoch inzwischen nicht mehr wegen oben genannter nachhaltiger Ausstattung, sondern weil wir langsam wirklich eine neue Bleibe brauchen.
Eva Tendler, 2014
Verantwortlich leben
Nachhaltigkeit bedeutet für mich unsere, ja die globale, menschliche Lebensweise und jegliche Kultur verantwortbar mit zu gestalten.
Also bewusst und wohlüberlegt zu leben, nicht von kurzatmigem Zeitgeist, von Wirtschaft, Werbung und Ideologien unbewusst gesteuert zu werden.
Nachhaltiges Leben bezieht seine Maßstäbe aus einem zukunftsfähigen, würdezentrierten Wertekosmos, der gerichtet ist auf Schonung endlicher Ressourcen und auf universale Geltung.
Das Prinzip Nachhaltigkeit gilt für alle Lebensbereiche: für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft, für die Wissenschaft ebenso wie für alle Teile der Alltagskultur.
Menschengemäße Nachhaltigkeit erfordert aus heutiger Sicht und in Anbetracht endlicher Ressourcen einen vielfachen, teilweise radikalen Wandel im Denken und im Handeln.
Dabei gilt es, Wohlstand nicht mit einem grenzenlosen Ressourcen verschwendenden Wachstumsbegriff zu verbinden, sondern mit einem Denken und Handeln, das auf wirkliche Lebensqualität mit gesicherten, teilweise neuen Arbeitsplätzen und langfristiger sozialer Sicherung ausgerichtet wird und nicht nur an der Steigerung des nominellen Bruttosozialprodukts gemessen wird.
Es geht um eine optimistische und gleichwohl realistische Grundhaltung jenseits von Technikfeindlichkeit und ständiger Katastrophenangst, aber auch jenseits von Wirklichkeits- und Gefahrenblindheit.
Eine so verstandene Nachhaltigkeit ist und bleibt Aufgabe für jeden Einzelnen und seine Vernetzung und als subsidiär-zentrales Thema Aufgabe für Politik, Wirtschaft und verschiedene Teilkulturen wie Wissenschaft und Medien.
Alfred Müller, Gröbenzell, 2011
Ganzheitlich denken
Nachhaltigkeit bedeutet für mich ganzheitliches Denken. Es bedeutet, sich darüber Gedanken zu machen, welche Auswirkungen unser Tun und Handeln auf unsere Mitmenschen, unsere Umwelt heute und in Zukunft haben kann. Daraus gilt es die entsprechenden verantwortungsvollen Konsequenzen zu ziehen und Wege zu finden, wie man Nutzung und Schutz, Mensch, Natur, Kultur unter einen gemeinsamen Hut bekommt.
Eva Krause, Ismaning, 2011
Für die Zukunft planen
Nachhaltigkeit ist für mich, wenn
(1) Erfolg nicht mehr nur zuwachsorientiert wahrgenommen wird,
(2) wir uns gerecht gegenüber künftigen Generationen verhalten und
(3) so planen, dass auch in Zukunft dieser eine Planet für die Menschheit ausreicht.
Gerhard Müller-Starck, Freising, 2011
Die alltägliche Schuld
Im Gespräch mit Großeltern und Schwiegervater entdecke ich häufig in mir diese latente Schuldzuweisung was den Umgang mit den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern betrifft: wieso habt ihr nichts unternommen, wie könnt ihr nichts davon gewusst haben, warum habt ihr diese Menschen, die mitten unter euch lebten, so im Stich gelassen? Natürlich waren diese netten älteren Herrschaften, mit denen ich mich unterhalte, keine KZ-Aufseher, NSDAP-Funktionäre oder SS-Mitglieder. Sie haben eben nur möglichst bequem vor sich hin gelebt und keine Fragen gestellt.
Jetzt, wo ich selbst Mutter und somit auch potenzielle Großmutter bin, frage ich mich, ob unsere Kinder und Kindeskinder uns nicht genau dieselben Vorhaltungen werden machen können: wie könnt ihr nichts davon gewusst haben, dass euer Lebensstil auf Kosten der Menschen in ärmeren Ländern wie auch auf Kosten der nachfolgenden Generationen ging? Warum habt ihr diese Menschen, die auf sinkenden Booten übers Mittelmeer nach Norden kamen, so im Stich gelassen? Natürlich habt ihr lieben Alten keine Sweatshops betrieben, keine Wälder gerodet, keine Hedge-Fonds gehandelt. Ihr habt bloß möglichst bequem vor euch hin gelebt und keine Fragen gestellt.
Sophie Urmetzer, Freising, 2011