Eingefroren am Nordpol
- Titel: Eingefroren am Nordpol
- Untertitel: Das Logbuch von der »Polarstern«
- Autor: Markus Rex
- Verlag: C. Bertelsmann Verlag
- Sprache: deutsch
- ISBN-10: 3570104141
- ISBN-13: 978-3570104149
- Format/Größe: 18 x 3 x 24.5 cm
- Seiten: 320
- Erschienen/Auflage: 16. November 2020
- Preis: 28,00
Für „Normalos“ klingt es wie Science Fiction: ein Jahr lang eingefroren im Eis durch die Arktis driften, davon sechs Monate in pechschwarzer Polarnacht, in extrem lebensfeindlicher Umwelt und bei Temperaturen bis minus 60 Grad. Aber genau das haben die Teilnehmer der Expedition mit dem deutschen Eisbrecher Polarstern gemacht und dabei hochkarätige Forschungsarbeit geleistet. Das Ziel: wertvolle Daten zu sammeln über die komplexen Klimaprozesse in der Arktis, und wie sich die aufs weltweite Klima auswirken.
Eine „Mission impossible“, sollte man denken, und trotzdem war das Unternehmen „MOSAiC“ sehr erfolgreich. 10 Jahre Planung gingen der Expedition voraus. Sie begleitete eine Eisscholle durch alle Phasen ihres Lebenszyklus - von Sibirien über den Nordpol nach Grönland. Die Forscher wollen so das letzte Puzzle-Teilchen ergänzen, das ihnen zum Verständnis der Vorgänge in der Arktis noch gefehlt hat. Das Logbuch des Projektleiters Markus Rex – mit eindrucksvollen Fotos und vielen anschaulichen Grafiken und Karten – fesselt von der ersten Seite an. Immer lebensnah, ohne verquasten Wissenschafts-Duktus und oft auch humorvoll beschreibt der Autor ein Abenteuer, das von Superlativen nur so strotzt: größte Arktisexpedition aller Zeiten, erste Forschungsreise zum Nordpol im Polarwinter, 600 Menschen aus 20 Nationen beteiligt, 150 Terabyte an Daten gesammelt…
Historisch inspiriert war MOSAiC von Fridtjof Nansens Expedition mit seinem Segelschiff Fram vor mehr als 120 Jahren. Nansen gilt als Entdecker der Eisdrift - einer natürlichen Eisbewegung, die ein Schiff quer durch die zugefrorene Arktis tragen kann. Die Bedingungen für die Polarstern sind heute natürlich ganz andere: technisch hochgerüstet, bestmöglich gegen Gefahren gesichert und international unterstützt. So konnten die Forscherteams auf ihrer angedockten Scholle ein stabiles Eis-Camp errichten, täglich wertvolle Messdaten sammeln und Vorgänge mit eigenen Augen beobachten. Mehr als 300 Tage lang haben sie das Meereis, die Atmosphäre, den Ozean, das Ökosystem und biogeochemische Vorgänge umfassend untersucht.
Den Alltag auf dem Forschungsschiff beschreibt Markus Rex auch für Laien so anschaulich und verständlich, dass man sich beim Lesen oft wie live dabei fühlt. Leben und Arbeiten im Eis war mühsam und gefährlich, weil nicht nur permanent von Naturgewalten bedroht - - sondern auch von Eisbären. Die ach so niedlichen Tiere können nämlich 40 km/h schnell rennen und werden für Menschen lebensgefährlich, wenn sie hungrig sind.
Planung, Logistik und Durchführung der Expedition waren höchst anspruchsvoll, allen Teilnehmern wurde äußerste Disziplin und Flexibilität abverlangt. Am Ende scheiterte alles fast noch an der Corona-Pandemie, als bei Halbzeit die Teams auf dem Schiff ausgetauscht werden mussten. Aber Kompetenz, Unbeirrbarkeit und sicher auch ein Quäntchen Glück haben das Projekt letztlich gerettet und zum Abschluss gebracht.
Markus Rex, ein erfahrener Polarforscher, war der kühle Kopf von MOSAiC. Ohne ihn wäre die Expedition vielleicht nicht so erfolgreich gewesen. Jedenfalls hat sich der Atmosphärenphysiker des Alfred-Wegener-Instituts und Professor der Uni Potsdam hier ein Forscher-Denkmal gesetzt. Trotzdem schlägt er für sich immer bescheidene Töne an und hebt eher die wissenschaftliche und menschliche Leistung seines Teams hervor. Überdeutlich wird, dass der unbedingte Glaube an die Wichtigkeit des Projekts, aber auch Zusammenhalt und Krisenfestigkeit entscheidende Faktoren für seinen Erfolg waren. Erschöpfung, Enttäuschung und Sehnsucht nach zuhause gehören zeitweise genauso dazu wie Faszination, Begeisterung und Forscherleidenschaft. Oder auch die Ausgelassenheit beim gemeinsamen Feiern an Bord! Das Leben im Eis schweißt eben zusammen, meint der Autor des Buches, manchmal sogar ein Leben lang. Bei so viel Gemeinsinn kann man schon mal neidisch werden…
Alle Proben und Messdaten von MOSAiC auszuwerten dürfte noch Jahre dauern. Doch erste Ergebnisse zeigen: Die Arktis erwärmt sich schneller als erwartet und schneller als jede andere Region der Erde. Das Abschmelzen des gar nicht mehr so „ewigen“ Eises am Nordpol hat dramatische Folgen. Nicht nur für die Arktis, sondern auch für unser Klima in Mitteleuropa und weltweit. Unser bisher gewohntes Leben auf dem Planeten kann das gefährden, wenn wir nicht handeln. Wer dieses Buch gelesen hat, hat das verstanden - nicht nur intellektuell, sondern auch mit dem Herzen.
Das Wissen der Polarstern-Expedition ist jedenfalls die Basis für wichtige politische Entscheidungen über anstehende Klimaschutzmaßnahmen. Dessen ist sich Markus Rex sehr bewusst. Er versteht seine Forschungsarbeit auch politisch und nutzt seine Popularität zu öffentlichen Appellen für ein großes Umdenken. Eins scheint jedenfalls sicher: auch nach MOSAiC wird man noch viel von ihm hören.
Rezension von Sonja Wagenbrenner (April 2021)